Warum schrieb Bruckner verschiedene Fassungen einer Symphonie?
BRUCKNER2024 präsentiert alle Fassungen der Bruckner-Symphonien
Das Projekt BRUCKNER2024 geht in die Endrunde. Bald werden alle Symphonien Anton Bruckners in allen Fassungen einschließlich der sogenannten Zwischenfassungen von einem (!) Klangkörper, der Philharmonie Festiva, eingespielt sein, was dieses Projekt zu einem weltweit einzigartigen Unterfangen macht.
Im Dickicht der Fassungen
Bekanntlich hat Bruckner von einigen seiner Symphonien mehrere Fassungen geschrieben, wobei er selbst nie von Fassungen sprach. Für ihn waren die einzelnen Versionen nur Zwischenstationen zu einer möglichst vollendeten Symphonie. Er wollte also keine verschiedenen Fassungen herausgeben und wahrscheinlich wäre er mit dem Unterfangen, alle Erscheinungsformen aufzunehmen, gar nicht einverstanden. Andererseits hatte er aber auch die einzelnen Manuskripte nicht vernichtet. Sicherlich hätte er nicht damit gerechnet, dass man sich eines Tages für all diese Stadien interessieren würde. Hätte er nur die letztgültige Fassung einer Symphonie haben wollen, dann hätte er – wie viele andere Komponisten – dieses Notenmaterial ja ganz einfach vernichten können. Dies tat er jedoch nicht und legitimierte damit posthum, dass ein Projekt wie BRUCKNER2024 entstehen konnte, womit wir aber auch einen einmaligen Einblick in die Komponistenwerkstatt eines genialen Tondichters erhalten.
Wann ist ein Werk eigentlich fertig?
Oder anders ausgedrückt: Was treibt einen Komponisten dazu an, eine Symphonie gleich mehrmals zu schreiben? Für Anton Bruckner trifft dies nämlich zu, wobei es nicht jede Symphonie in verschiedenen Erscheinungsformen gibt. Immer wieder wurde auch im Jubiläumsjahr 2024 das Klischee wiederholt, dass Bruckner doch nur von Zweifeln zerfressen gewesen war und sich dauernd von anderen reinreden ließ. Die Mär vom unterwürfigen und stets unsicheren Komponisten, der sich aus der Provinz in die Weltstadt Wien begab, um dort sein Glück als Komponist zu machen, aber nie so recht verstanden wurde, wird stetig repetiert, auch wenn dies nur die halbe Wahrheit ist.
Auf der Suche nach der perfekten Symphonie
Richtig ist, dass Bruckner durchaus immer wieder Skrupel und Zweifel hatte und häufig nicht mit seinem Werk zufrieden war. Aber spricht dies nicht auch für einen gewissen Qualitätsanspruch, den ein Tondichter generell an sich selbst stellt? Ist es nicht sogar bewundernswert, mit welcher Hartnäckigkeit Bruckner nach der besten Lösung suchte? Vielleicht sollte man sich bewusst machen, dass Bruckner die ideale, ja vielleicht sogar die perfekte Symphonie schaffen wollte. Und das ist eben die andere Seite der Medaille. Andere Komponisten taten dies übrigens auch. Allerdings vernichteten sie sorgsam ihre unterschiedlichen Ansatzpunkte und gestatten damit eben keinen Einblick in ihre Kompositionsweise. Zumindest nach außen erschienen sie damit eindeutig und selbstsicher und entsprachen damit dem 19. Jahrhundert geschaffenen und bis heute verstandenen Künstlerbild.
Kritiker und Freunde
Sicherlich gab es Kritiker, Musiker, Dirigenten und immer wieder auch „wohlwollende Freunde“, die dem Meister aus St. Florian unverhohlen – und fast möchte man sagen: frech – ins Gesicht sagten, dass seine Werke keine Melodien hätten, viel zu lang und zu schwer seien und es ihnen überhaupt an den richtigen Proportionen fehle. Bruckner müsse noch viel lernen und seine symphonischen Gedanken erst einmal in die richtige Form gießen, um sie dann in althergebrachter Durchführung zu unterziehen. Dass die Zeitgenossen all das, was über die bloße Sonatenhauptsatzform hinausging und was wir heute am Werk Bruckners bewundwern, nicht verstanden haben und offensichtlich überhaupt nicht dazu in der Lage waren, eine etwas komplexere und damit ungewohnte Musik zu begreifen, war eigentlich deren eigenes Problem. Aber statt in die Selbstreflexion zu gehen und sich erst einmal auf eine ungewohnte Tonsprache einzulassen, machten sie es sich sehr einfach und suchten die Schuld beim Komponisten. Bruckner hingegen war oft zu Konzessionen bereit – häufig aber nur, damit sein Werk aufgeführt wurde.
Musik für Kenner und spätere Zeiten
Immer wieder betonte er, dass er Zugeständnisse nur deshalb machte, damit seine Musik überhaupt gespielt würde, und verwies darauf, dass seine Musik nur für Kenner geschrieben und künftigen Generationen vorbehalten sei. Offensichtlich ahnte er, dass einmal die Zeit kommen würde, in der man seine Musik verstand. Er war sich also sehr wohl seiner Bedeutung als Komponist bewusst. Und so geschah es denn auch: Bruckner zählt heute zu den herausragenden Komponisten der Musikgeschichte.
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