BRUCKNER2024
Ein großer Komponist geht seinen Weg
Am 4. September 1824 wurde in dem kleinen Dorf Ansfelden bei Linz der Komponist Anton Bruckner geboren. Wer hätte damals gedacht, dass aus dem Sohn eines einfachen Dorfschulmeisters und Organisten einer der wohl bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte werden würde.
Anton Bruckner, der sich selbst – obwohl er doch angeblich immer so unterwürfig gewesen sein soll – als der einzig legitime Nachfolger Ludwig van Beethovens betrachtete, kam nach dem frühen Tod des Vaters zunächst in das benachbarte Augustinerchorherrenstift. Von da an kämpfte er sich mühsam, aber stetig nach oben, wurde Stiftsorganist in St. Florian, Domorganist in Linz und schließlich Professor am Wiener Konservatorium und zugleich Organist des Kaisers in der Wiener Hofburgkapelle. Eigentlich wäre damit alles über die Karriere eine Musikers gesagt gewesen, wenn dieser arme Organist, wie ihn Cosima Wagner einmal wenig schmeichelhaft bezeichnete, nicht angefangen hätte, Symphonien zu komponieren. Damit hatte man nicht gerechnet, denn im Grunde sollte Bruckner doch nur seinen Dienst an der Orgel machen und brav im Konservatorium unterrichten. Warum also die brotlose Kunst des Komponierens? „Ich kann nicht anders“ – Das ist die einfache wie zutreffende Antwort, die Bruckner einst gab, oder vielleicht besser: mit der sich das Genie Bruckner bewusst oder unbewusst mitteilte. Und zum Glück „konnte er nicht anders“, denn damit hat er uns einmalige Werke hinterlassen, die Herz und Sinn gleichermaßen berühren.
Verborgene Persönlichkeit
Am 4. September 2024 feierte die musikalische Welt also den Geburtstag eines wirklich Großen, dessen schwer fassbare Persönlichkeit immer wieder zum Widerspruch reizte, provozierte und polarisierte. Schier endlose Anekdoten ließen bereits zu Bruckners Lebzeiten ein klischeehaftes und zum Teil verfälschtes Brucknerbild entstehen, das auch anlässlich seines 200. Geburtstages oft unreflektiert weitergetragen wurde. Je länger ich mich mit Anton Bruckner beschäftige, desto mehr muss ich feststellen, wie verborgen seine Persönlichkeit doch eigentlich war. Da ich bereits in jungen Jahren alles Greifbare studiert hatte, was mit dem Komponisten und dem Menschen Bruckner zu tun hatte, dachte ich damals, dass ich vor allem den Menschen Bruckner doch einigermaßen gut kennen würde. Heute würde ich sagen, dass ich zwar in den Komponisten und in dessen spezifische Kompositionsart ganz gut eingedrungen bin. Der wahre Mensch Bruckner verschwindet allerdings immer mehr in einem Nebel beziehungsweise entzieht sich mir zunehmendes – ein Phänomen, mit dem sich offensichtlich auch seine Zeitgenossen konfrontiert sahen. Selbstverständlich gab es damals und gibt es heute Menschen, die vorgeben, gerade das Persönliche bei Bruckner ganz genau zu kennen. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass die scheinbar offensichtlichen Seiten seiner Person eine vorgeblendete Fassade bilden, hinter der sich eine Persönlichkeit verbirgt, die bewusst ungreifbar bleibt. Der Humor, den er bisweilen an den Tag legte, und die teils naiven eigenen Werkbeschreibungen zeigen meiner Meinung nach einen Menschen, der sich eine Tarnkappe überzieht, um sich von einer verständnislosen Umwelt zu schützen. Aber auch das ist Spekulation, die ich auch gleich wieder bleiben lasse.
BRUCKNER2024: Geburtstagsgrüße aus Ebrach und Rouen
Wie auch immer es bezüglich der wahren Persönlichkeit Bruckners bestellt sein mag: Das Phänomen Bruckner schuf unbeschreiblich schöne, berührende und in unendliche Tiefen gehende Werke. Das Jubiläumsjahr 2024 war denn auch ein großes Jahr für den Ebracher Musiksommer, bei welchem die dritte Symphonie in der Fassung von 1877, die achte Symphonie in der Fassung von 1890 und – in unmittelbarer Nähe zu Geburtstag – die neunte Symphonie mit dem von mir ergänzten Finalsatz, den ich abermals revidierte, zur Aufführung gelangten. All diese Konzertaufführungen, die die Philharmonie Festiva bestritt und die vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet wurden, sind Teil des Projekts BRUCKNER 2024, das ich zusammen mit dem BR und dem Label Profil Edition Günter Hänssler bereits 2011 ins Leben gerufen habe und dessen Ziel es ist, all elf Symphonien Bruckners in allen Fassungen aufzunehmen. Ich persönlich habe darüber hinaus einen ganz persönlichen Geburtstagsgruß außerhalb von Ebrach, nämlich aus der Normandie, gesendet, indem ich an der weltberühmten Orgel Cavaillé-Coll-Orgel der ehemaligen Benediktinerabteikirche St. Ouen in Rouen Bruckners Achte in meiner eigenen Orgelbearbeitung eingespielt habe.
Mekka für Brucknerianer
Ohne Übertreibung kann der Ebracher Musiksommer gleichsam als ein Mekka für Freundinnen und Freunde der Musik Anton Bruckners gelten. Eine Zeitlang war seine Musik weniger beachtet, ja schon fast totgesagt. Dass sich gerade junge Menschen mit der Musik Anton Bruckners intensiv beschäftigen, zeigt das Gegenteil. Bruckners Musik erlebt eine Renaissance ohnegleichen. Mittlerweile kommen Besucherinnen und Besucher aus ganz Deutschland, aus den Nachbarländern, aber beispielsweise auch aus USA nach Ebrach, um Bruckner, dargeboten von der Philharmonie Festiva, zu hören.
BRUCKNER2024
Aus der am Anfang geplanten kompletten Aufnahme aller Bruckner-Symphonien mit einem eigenen Festspielorchester, erwuchs bald ein Großprojekt: BRUCKNER2024. Bekanntlich hat Anton Bruckner von etlichen seiner Symphonien mehrere Fassungen beziehungsweise Erscheinungsformen komponiert. So lag es nahe, nicht nur alle elf Symphonien aufzuführen und aufzuzeichnen, sondern alles Symphonien in allen Fassungen. Und das mit einem Klangkörper und mit einem Dirigenten, also quasi aus einem musikalischen Guss.
Ausblick 2025
Der Endspurt von BRUCKNER2024 ist also in vollem Gange, wobei es überhaupt nichts macht, dass auch nach dem Jubiläumsjahr weitere Einspielungen beim Ebracher Musiksommer erfolgen. Ganz im Gegenteil! Es wäre ja schade und für mich persönlich auch undenkbar, nach 2024 mit Bruckner aufzuhören. Der Meister aus St. Florian hat so viele Facetten und uns so vieles zu sagen, dass sich die Auseinandersetzung mit seinem vielschichtigen Werk nach wie vor lohnt. Ja, es ist mir sogar ein starkes Bedürfnis, dass ich mich weiterhin mit diesem einzigartigen und faszinierenden Komponisten auseinandersetze. Mit Bruckner ist also noch lange nicht Schluss! Und so freue ich mich schon jetzt auf weitere wichtige Bruckner-Ereignisse in 2025:
Die Dritte in der Erstfassung von 1873 in Bad Kissingen
Die dritte Symphonie lag Bruckner offenbar ganz besonders am Herzen. Es gibt kaum eine Symphonie von ihm, von der so viele Fassungen beziehungsweise Zwischenvarianten existieren. Fast möchte man meinen, dass es sich bei diesem Werk um sein Sorgenkind gehandelt habe. Aber dies würde nur die halbe Wahrheit beschreiben. Vor allem der Anspruch, die perfekte Symphonie zu schaffen, beschäftigte Bruckner gerade bei der Dritten sehr intensiv. Gerade diese erste Erscheinungsform zeigt den ungestümen und, wenn man so will, den unangepassten Komponisten. Kühn in Harmonik und Form, komplex in der rhythmischen Ausarbeitung (man denke nur an den Streicherpart im Adagio) und geradezu himmelsstürmend in der Konzeption, war das Werk seiner Zeit voraus. Was damals als unmöglich schien, fasziniert uns heute. Offensichtlich war aber bereits damals auch Richard Wagner einer der Wenigen, der die Bedeutung der Dritten erkannte, denn er nahm die Widmung auf Nachfrage von Bruckner an mit. „Ja! Ja! Herzlichen Gruß!“. So lautet denn auch der Titel des Konzertes mit der Philharmonie Festiva am 16. März 2025 um 17 Uhr im Regentenbau von Bad Kissingen: Wagnersymphonie.
Die Achte in der Erstfassung von 1887 in der Abteikirche Ebrach
Auch für die Aufführung der achten Symphonie – natürlich erneut mit der Philharmonie Festiva – habe ich mich für die spannende Erstfassung entschieden. Diese Fassung hat Bruckner leider selbst nie gehört. Das Werk war damals so innovativ, dass selbst der Dirigent Herman Levi nichts damit anfangen konnte und von einer Aufführung absah. Insbesondere der Finalsatz schien ihm ein verschlossenes Buch zu sein. Dabei stand Levi mit seiner Einschätzung keineswegs allein da. Viele Zeitgenossen teilten seine Meinung. Dennoch setzte sich das Werk (allerdings in umgearbeiteter Form) dann doch noch zu Bruckners Lebzeiten durch. Nach Aussage von Hugo Wolf handelt es sich bei der Achten um das Werk eines Giganten, dessen Aufführung zu einem Triumph für Bruckner wurde. Bruckner widmete die Symphonie keinem Geringeren als dem österreichischen Kaiser. Und so lautet der Titel des Konzerts am 20. Juli 2025 um 17 Uhr in der ehemaligen Abteikirche Ebrach: Imperial.
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